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Vereinigung Akademischer Mittelbau der Universität Zürich

Rede von Wolfgang Fuhrmann, VAUZ Ko-Präsident, Bern, 10.11.2014

Nachwuchs, Mittelbau, Researcher: Von der Schwierigkeit, Universität neu zu denken? «Forschungsplatz Schweiz: Verheizen wir unsere jungen Talente?» Bern, 10.11.2014

Sehr geehrte Damen und Herren
Herzlichen Dank für die Einladung zur der heutigen Tagung, deren Thema und Fragestellung nicht nur ein ständiges Anliegen der VAUZ, der Vereinigung akademischer Mittelbau der Universität Zürich, ist, sondern ebenso des nationalen Dachverbandes der Mittelbauvereinigungen actionuni der Schweizer Mittelbau.
Als ich den Ankündigungstext zu der heutigen Veranstaltung gelesen habe, war ich mir nicht ganz sicher, um wen genau es heute eigentlich geht. Es ist die Rede davon, dass „zu oft selbst geniale junge Forscherinnen und Forscher in ihrer Karriere in eine Sackgasse“ geraten und ihr Engagement und Talent nicht oder nicht ausreichend genutzt wird.
Ich hoffe, es geht uns heute nicht nur um die genialen Forscherinnen und Forscher, denn das sollte nicht unsere erste Sorge sein.
Gerade einmal 0,5 Prozent der Weltbevölkerung kann für sich in Anspruch nehmen, ein Genie zu sein. Bei normaler Verteilung ist es naheliegend, dass davon nur ein Bruchteil an Schweizer Universitäten anzutreffen ist.
Wenn man auf Genies im Forschungsstandort Schweiz zurückgreifen kann, ist das natürlich eine feine Sache, aber Kontinuität in der Forschung und in der Lehre garantieren Ihnen die ganz „normalen“ Wissenschaftler, ganz so wie es Markus Reiter in seinem Buch Lob des Mittelmasses beschreibt , oder wie Elsbeth Stern, Professorin für Lehr-Lern-Forschung an der ETH Zürich, es feststellt: Für die meisten Anforderungen im akademischen Bereich muss man kein Überflieger sein, denn ein Weniger an Intelligenz kann durch ein Mehr an Fleiß ausgeglichen werden.
Mit anderen Worten, wir, die stets bestrebt sind, immer das Beste zu geben, sind heute einmal ganz unter uns.
Mit dem Veranstaltungstitel „Forschungsstandort Schweiz: verheizen wir unsere jungen Talente?“ wird eine recht unbequeme Frage gestellt, die, so scheint es mir, niemand wirklich gerne hier im Saal beantworten möchte.
Die wohligste Antwort auf die Frage, ob wir unsere jungen Talente verheizen, wäre sicherlich ein klares Nein. Wir könnten uns in dem Fall beruhigt zurücklehnen, uns gegenseitig auf die Schulter klopfen und unverzüglich zum Apéro schreiten.
Was aber, wenn die Antwort Ja lautete?
Herr Murer wird gleich im Anschluss über das Verhältnis Lehrstuhl - Mittelbauangehöriger sprechen -- sicherlich ein Aspekt, der dazu beitragen kann, dass sich junge Forschende verheizt fühlen. Zum Beispiel, indem man Doktorierende mit Arbeiten betreut, für die an den Hochschulen Ressourcen fehlen. Klappt es dann nicht mit der Dissertation in der vorgeschriebenen Zeit, wird man nicht die Schuld auf die unverhältnismässige Arbeitsbelastung schieben, sondern auf das schlechten Zeitmanagement der oder des Doktorierenden, was dann wiederum als klare Hinweis gelten kann, dass man im Grunde genommen für eine akademische Karriere ungeeignet ist.
Herr Vetterli wird später am Mittag die Frage erörtern, wie wir die Richtigen fördern. Aber, angenommen, wir fördern die Richtigen, können wird dann sagen, was ein Glück, dass wir wenigstens nicht die Falschen verheizen?
Wir könnten auch diejenigen fragen, von denen wir glauben, dass sie verheizt werden, die Angehörigen des Mittelbaus. Ob aber jeder bereit ist, hierauf eine ehrliche Antwort zu geben, ist fraglich. Die Gefahr, es sich zu mit den Vorgesetzten zu verscherzen, wenn es ernst wird, ist angesichts der existierenden Abhängigkeitsverhältnisse nicht zu unterschätzen.
Evtl. will man auch gar keine kritische Antwort oder Vorschläge von dieser Seite hören, ganz so, wie es kürzlich Peter Grottian in der Süddeutschen Zeitung konstatierte: „Ein Mittelbau mit Eigensinn und Kreativität ist in der professorenfixierten Universität nicht mehr wirklich gewollt.“
In dieser Hinsicht erscheint mir es auch etwas unglücklich formuliert, wenn sich die Tagung an die richtet, die es geschafft haben, und an jene, die erfahren sollen, was es braucht um erfolgreich zu sein. Das signalisiert nicht unbedingt einen Dialog auf Augenhöhe, sondern eher eine top-down Beziehung, in der der eine spricht und der andere andächtig zuhören soll.
Auch mein Vortragstitel gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage der Veranstaltung, er spiegelt eher eine gewisse Ratlosigkeit wider, die viele Kollegen mit mir teilen.
Welche Rolle spiele ich in der Universitätslandschaft?
Bin ich einzig und allein der Nachwuchs für eine Professur, auf die sich im schlimmsten Falle bis zu hundert Kollegen gleichzeitig bewerben.
Bin ich ein Researcher, wie sich gerne einige Kollegen in der englischen Übersetzung nennen. Das verleiht mir ein wenig internationales Profil, weil ich ja in der Forschung tätig bin. Doch schon auf der nächsten internationalen Konferenz lerne ich, dass meine anglo-amerikanischen Kollegen, die ich noch aus den Anfängen meiner Laufbahn kenne, als man noch gemeinsam auf der Zuhörerbank sass, sich mittlerweile Assistent oder Associate Professor nennen – ach ja, träum weiter, du Researcher.
Selbst der Begriff des Mittelbaus ist nicht mehr sicher. Verleiht er bisher dem eigenen Schaffen eine gewisse Bedeutung und Anerkennung, denn man versteht sich als eine wichtige Stütze im akademischen System, muss man zumindest als Angehöriger der Universität Zürich angesichts einer aktuellen Vernehmlassung nun damit rechnen, dass der Begriff des Mittelbaus langsam aus dem Sprachgebrauch und Schriftverkehr ausgeschlichen wird. Das war es dann mit dem schönen Bild der stützenden Funktion. Wer, wo und was mitbaut, wird woanders entschieden.
Aber zurück zu der Frage „Verheizen wir unsere jungen Talente?“, in der es auch um Verantwortung geht. Verheizen laut Duden ist, wenn man jemanden ohne Rücksicht auf seine Person einsetzt und seine Kräfte schließlich ganz erschöpft. Zweifellos, kein feines Verhalten.
Wenn es so ist, wer macht so etwas? Wer ist mit „wir“ in der Frage gemeint?
Ich bin es zum Glück nicht, denn ich spreche ja für die jungen Talente. Da können also nur Sie gemeint sein, und es drängt sich die Frage auf, ob Sie da etwa das schlechte Gewissen plagt?
Warum stellen Sie sich die Frage hier und heute? Da die Anfrage zu der Tagung vor dem 9. Februar erfolgte, kann es die Masseneinwanderungsinitiative nicht gewesen sein.
Es scheint, es läuft irgendwie nicht rund. Aber, kann das wirklich sein, bei all der Schaffung von Fördertöpfen, deren Evaluierungen, Optimierungen, Nachjustierungen und Straffungen in den darauffolgenden Jahre, den unzähligen Gleichstellungsbemühungen und Bekenntnissen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Ist es vielleicht ein ähnlich ungutes Gefühl, wie es kürzlich ein Dekan einer grossen deutschen Hochschule zur Situation des Nachwuchses mit den etwas kryptisch-blumigen Worten beschrieben hat:
"Die Sensibilität für die Situation der Beschäftigten hat gelitten."
Was also tun gegen Sensibilitätsstörungen? Die Mediziner unter Ihnen wissen es, man nimmt das Wartenbergrad zur Hand, das ist ein Instrument mit einem kleinen stacheligen Zahnrädchen, fährt damit langsam über die Haut der Patienten und prüft so deren Schmerzempfindlichkeit.
Erlauben Sie mir also im Folgenden mit meinem „Vortrags-Nervenrädchen“ ein wenig in dem akademischen System herumzufahren. Sie müssen dann sagen, ob Sie etwas spüren oder nicht.
Da wäre zum einen die Sorge um den Schweizer Nachwuchs, der seine Zukunft partout nicht in den Universitäten sehen will? Der Bericht des Bundesrats nennt vor allem zwei Gründe, warum der Anteil einheimischer Hochschulabsolventinnen und –absolventen seit nunmehr 20 Jahren stagniert: Eine solide und attraktive Arbeitsmarktsituation ausserhalb der Universität und niedrige Löhne an den Universitäten. Das Problem ist hinlänglich bekannt. Bereits 2003, also vor elf Jahren, hat die OECD auf den Missstand hingewiesen: „Sowohl in der Lehre als auch in der Forschung kontrastieren die vergleichsweise vorteilhaften Arbeitsbedingungen für Schweizer Professorinnen und Professoren mit der häufig prekären Lage des unteren und oberen Mittelbaus. Während Professorinnen und Professoren im Hinblick auf Gehälter, Mitarbeitende und Infrastruktur privilegiert sind, werden die Angehörigen des unteren und oberen Mittelbaus sehr bescheiden entlöhnt, vor allem in Anbetracht des Preisniveaus und der Karrieremöglichkeiten ausserhalb des Hochschulsektors.“
Vermutlich wird sich an der Situation auch in den nächsten 20 Jahren nicht viel ändern, wenn sich nicht grundlegend das Karrieresystem an den Universitäten ändert. Interessanterweise gibt es aber gar keine umfassende Untersuchung zu diesem Problem.
Als Entscheidungsträger, also als Staat, müsste ich aber doch ein Interesse haben, zu erfahren, was genau die Gründe sind, dass die akademische Karriere so unattraktiv erscheint. Zudem bekennt der Bericht des Bundesrates, dass die allgemeine Datenlage zum wissenschaftlichen Nachwuchs an den universitären Hochschulen und den Fachhochschulen sich mit „Mängeln und Lücken“ präsentiert. Es wäre also dringend an der Zeit, hier Abhilfe zu schaffen und einmal detailliert nachzufragen.
Apropos Salär und Sensibilität. Nicht jeder scheint die Schweizer Saläre für niedrig zu halten. So erinnerte vor geraumer Zeit ein aus Deutschland kommender Lehrstuhlinhaber seine Assistierenden und Doktorierenden daran, dass man aufhören solle, zu klagen, denn das Salär sei höher als das einer W-1 Professur in Deutschland.
Nun ist es immer müssig, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Man könnte ja auch argumentieren, dass evtl. das Gehalt in Deutschland zu niedrig ist, gerechterweise müsste man sagen, zu lausig ist, aber der Vorfall eröffnet auch ein mögliches Einsparungspotential für Universitäten.
Mir scheint, dass der besagte Lehrstuhlinhaber bisher noch keinen Blick auf seinen eigenen Gehaltszettel geworfen hat. Warum also nicht derart besorgten Professoren etwas weniger Gehalt auszahlen. Falls dann nachgefragt wird, könnte man einfach sagen, dass dies der Solidaritätsbeitrag für unterbezahlte Kollegen im Ausland sei. Wie Sie wissen, Deutsche sind das Zahlen von Solidaritätsbeiträgen gewohnt und akzeptieren es in der Regel ohne grösseres Murren.
Aber, zurück zum Thema.
Wenn die Universität als ein unattraktiver Arbeitsplatz im Vergleich zum übrigen Arbeitsplatzangebot empfunden wird, könnte man an der Attraktivitätsschraube drehen.
Das ginge indem man z.B. eine Planungssicherheit bietet. Einen möglichen Ansatz bietet das Positionspapier der Jungen Forschenden „Vision 2020“, in dem die Einrichtung von 1000 Tenure Track-Assistenzprofessuren gefordert wird.
Das scheint aber eine schlechte Lösung zu sein, denn im Bundesbericht ist nachzulesen, dass der SNF das bereits simuliert hat und zum Schluss gekommen ist, dass die „einmalige Schaffung einer bestimmten Anzahl fester Stellen längerfristig zu keiner Änderung des Karrieresystems führen würde“. Gibt es bereits eine ähnliche Simulation für die Stellungnahme des Schweizer Wissenschafts- und Innovationsrates?
Es ist beruhigend zu wissen, dass es sich bereits simulieren lässt, was nicht zu einer Änderung des Karrieresystems führen wird, es aber doch im Grunde genommen viel interessanter wäre, einmal zu simulieren, was zu einer längerfristigen Änderung des Karrieresystems beitragen kann.
Vielleicht muss man dabei das Karrieresystem auch in Hinblick auf die verschiedenen Fächerprofile überdenken. Vor einiger Zeit kam ein Mitglied der Universitätsleitung auf mich zu, und fragte, was man denn noch alles für den Mittelbau bzw. dessen Verbesserung tun solle, wenn doch schon so viel getan wurde -- gerade in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern sei doch schon so viel passiert. Es war die Mischung aus Ratlosigkeit und Überzeugung, mit der er sprach, die mich und meine Kollegen ins Grübeln brachte. Eventuell gibt es ja gar keine massgeschneiderte Lösung, zu unterschiedlich sind die Mentalitäten der jeweiligen Fakultäten und Wissenschaftsgebiete.
Ich erinnere nur an die Nachricht, dass Buchpublikationen vom SNF nur noch dann unterstützt werden, wenn diese Open Access berücksichtigen. Die Nachricht rief unverzüglich die Geistes- und Sozialwissenschaften auf den Plan, etliche Artikel und Podiumsdiskussion fanden an den Universitäten statt, während aus den mathematisch-naturwissenschaftliche Fächern eher Skepsis und leichtes Unverständnis zu vernehmen war. Die Frage der Habilitation wäre ein weiteres Beispiel, an dem man die existierenden unterschiedlichen Fachkulturen verdeutlichen könnte. Nicht, dass es nicht wünschenswert wäre, wenn es eine Angleichung gäbe, es aber doch Grenzen und Unterschiede gibt, die nicht weggeregelt werden können.
Eng verbunden mit den unterschiedlichen Ausrichtungen ist das Interesse derjenigen, die in der Universität arbeiten und sich gut vorstellen können dort weiterzuarbeiten: Wenn 56% der Doktorierenden der Geistes-und Sozialwissenschaften, 47% der Wirtschaftswissenschaften und 35% der Doktorierenden in den technischen Wissenschaften vorhaben, eine akademische Karriere zu verfolgen, dann kann man zwar das System weiter straffen, damit sich der Berufs-Wunsch der vielen, als das entpuppt, was es ist, nämlich nur ein Wunsch, oder man kann sich fragen, ob man nicht die Chance ergreifen will, dass grosse Interesse zu nutzten, um Forschung auf eine breite Basis zu stellen.
In der Wissenschaft zu bleiben, dort seinen Platz zu finden, setzt Kernkompetenzen voraus, und es lässt sich vortrefflich darüber diskutieren, was genau es braucht, um als Forscher erfolgreich zu sein. Eine Art „Waschzettel“ für die erfolgreiche akademische Karriere wäre hilfreich, und die heutige Veranstaltung soll ja dazu dienen, das zu vermitteln. Aber was genau will man raten?
Das Problem ist, dass die Antworten nicht immer umsetzbar sind. Auf die Frage, was es für eine Professur braucht, erhielt ich einmal die Antwort: „Wenn Sie dich wollen, dann kriegst du auch den Job, egal ob du das Profil erfüllst oder wer sich sonst noch so alles bewirbt.“ Die Antwort war nicht wirklich hilfreich, aber zumindest sehr ehrlich.
Eine andere Antwort auf die Frage, war, man müsse vor allem Glück haben. Nun kann man „Glück haben“ nicht erlernen, es ist auch kaum geeignet als Bestandteil in ein Doktoratsprogramm aufgenommen zu werden. Glück fällt einem zu und damit hat es sich dann auch.
Sehr viel vielversprechender ist das Sammeln akademischer Erfahrungen auf internationalem Parkett. Auslandsaufenthalte, ein-bis zwei Fremdsprachen sind zwar auch nicht unbedingt Garant dafür, dass man eine Professur bekommt, aber zumindest sind es wesentliche Elemente, sich im Bewerberfeld vorteilhaft zu positionieren und zu differenzieren.
Internationalisierung birgt aber auch die Gefahr, dass alles ganz anders kommen kann, als man denkt. In der Regel ist ein Erasmusaustausch die erste Möglichkeit, um internationale akademische Luft zu schnuppern. Ein solcher EU-Austausch stärkt aber nicht nur die Mobilität oder fördert die Karriere, sondern er kann auch das Privatleben beeinflussen.
Sie haben sicherlich auch die schöne Nachricht von dem millionsten Erasmus Baby gelesen. Wie man sieht, entstehen während eines Auslandsaufenthaltes eben nicht nur Haus- und Abschlussarbeiten, sondern auch Partnerschaften, Ehen und Kinder. Dem wurde zwar nun mit der Masseneinwanderungsinitiative vorerst ein Riegel vorgeschoben, aber glücklicherweise gibt es ja von nun an das SEMP-Baby, das Swiss-European Mobility Programme Baby – und ehrlich gesagt, ist das Programm auch viel passender, denn da schwingt ja auch ein wenig Schweizer Qualitätsarbeit mit.
Spätestens mit dem Kinderwunsch und dem Kinderkriegen kommt aber die Karriere ins Stocken, und so stellt der Bericht des Bundesrates ernüchternd fest, dass es für Frauen offenbar trotz wachsendem Anteil unter den Nachwuchsforschenden weiterhin schwierig ist, die Stufe der Professur zu erreichen.
Viele lassen sich aber nicht entmutigen. Die Kinder werden grossgezogen, die Karriere nebenbei oder eben etwas später begonnen, wenn halt die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind.
Das sollte eigentlich kein Problem sein, aber in der Tat fühlt sich die eine oder andere Kollegin verheizt, wenn sie als mehrfache Mutter, dazu als gebürtige Schweizerin, ein Ablehnungsschreiben des SNF erhält, das so klingt:
„Angesichts des Stadiums Ihrer Laufbahn wurden Ihre Chancen auf eine akademische Karriere im Vergleich mit anderen Kandidatinnen und Kandidaten als nicht genügend hoch eingeschätzt, unter anderem weil Ihre Habilitation erst in 2-3 Jahren abgeschlossen sein dürfte und es womöglich nicht einfach sein wird, eine Professur zu erlangen.“
Von Frau von Rechenberg kenne ich den schönen Satz, „Männer haben nur die Karriere im Kopf, Frauen das ganze Leben“. Es ist halt so, Biografien verändern sich und damit verändern sich Zeitpläne und Karrierepläne, aber der Karrierewunsch geht damit nicht verloren.
Das sollte berücksichtigt werden, ganz so, wie es die Europäische Charter für Forscher. Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern der Europäischen Kommission vorsieht. Der Code verpflichtet die unterzeichneten Forschungseinrichtungen, zu denen alle Schweizer Universitäten gehören, generelle Prinzipien zu Rechten und Pflichten der Nachwuchsforschenden einzuhalten, u.a. dass „Laufbahnunterbrechungen oder Lebensläufe mit Abweichungen in der chronologischen Abfolge“ nicht bestraft werden sollten, „sondern als eine Entwicklungsstufe einer Laufbahn und daher als potenziell wertvoller Beitrag zur beruflichen Weiterentwicklung von Forschern hin zu einem mehrdimensionalen beruflichen Werdegang gewertet werden.“
Warum also nicht die hohe soziale Kompetenz des Mutter- oder des Vaterseins als einen wertvollen Beitrag werten. Wer soll später Studierende empathisch beraten, unterstützen und trösten, wenn nicht die, die voll im Leben stehen? In der Arbeit mit Studierenden geht es eben nicht nur um das Studium, Hausarbeit und ECTS, sondern auch um Zuhören, Nachfragen und das-sich-kümmern — Kompetenzen, die man ausserhalb der Uni sehr viel besser erwerben kann als in ihr.
Die Schweiz ist eine Nation, deren einziger Rohstoff das Wissen ist, heisst es im Ankündigungstext dieser Veranstaltung, aber mir scheint, dass wir uns mit diesem Rohstoff etwas schwer tun.
Der zuvor bereits erwähnte Peter Grottian sprach von einer „menschenunwürdigen Ressourcenverschwendung“, die sich das deutsche Universitätssystem in Bezug auf seinen Nachwuchs leistet. Können wir ruhigen Gewissens sagen, dass es bei uns besser ist, oder müssen wir uns zähneknirschend eingestehen, dass das „germanische“ System, wie es im Bericht des Bundesrats heisst, auf dem besten Wege ist, hochqualifizierte Wissenschaftler auf das Abstellgleis zu schieben.
Ich möchte mit einer kleinen Geschichte enden, die für mich persönlich sehr viel mehr für die Ressource Wissen und dem Bild eines Forschungsstandortes steht, als es jede Rhetorik mit ihren Schlagwörtern von Potenzial, Talent, Selektion und Früherkennung vermag.
Ich hatte im vorherigen Jahr das ausserordentlich Vergnügen, eine Masterstudierende aus Australien zu betreuen. Ich kann mich nicht an eine andere Studierende oder einen Studierenden erinnern, die mit ähnlicher Hingabe ihr Projekt diskutieren wollte. Nahezu jede Woche kam Sie zu mir ins Büro, um Ihre Erfahrungen mitzuteilen und die neuen Schritte im Projekt gemeinsam zu diskutieren. Ganz am Anfang der wissenschaftlichen Karriere und so hochmotiviert. Ein tolles junges Talent, oder?
Die Studierende war 77 Jahre und befindet sich zurzeit auf dem Weg in ein Doktoratsprogramm. Sie mögen nun schmunzeln, die Augenbrauen hochziehen, aber es ist für mich ein wunderbares Beispiel für den Umgang mit dem Wissen, der kostbarsten Ressource eines jeden Landes. Darum sollte es doch letztendlich gehen.
Verheizen wir unsere jungen Talente? Ich denke, das derzeitige Universitätssystem scheint gar nichts anderes zu erlauben. Sie müssen also gar kein so schlechtes Gewissen haben, sie können zum Teil gar nichts dafür. Sie müssen es halt, ob Sie es wollen oder nicht.
Wenn die durchschnittliche Anstellungsdauer einer Professorin oder eines Professors zwanzig, fünfundzwanzig bis dreissig Jahre dauert und in dieser Zeit zwischen zwanzig und dreissig Doktorierende erfolgreich zur Promotion geführt werden, dann gehört nicht viel dazu, sich auszurechnen, wie viele von denen eine Chance auf eine Professur erhalten. Der grösste Teil der Doktorierenden, von denen sicherlich einige gerne in der Forschung und Lehre bleiben würden, muss auf der Strecke bleiben, zumindest was die Professur betrifft.
Wie also kombiniert man den Anspruch an einen hochkompetitiven Forschungsstandort mit dem höchstmöglichen Nutzen all derjenigen, die laut Bundesbericht mit „persönlicher Motivation, der Freude am wissenschaftlichen Arbeiten und dem Interesse am Fachgebiet“ ihren Weg in der akademischen Laufbahn sehen?
Ich denke, dass Universität mehr sein kann als der vielgescholtene Durchlauferhitzer für Wissenschaftler. Forschung, Lehre und Administration ermöglichen ein breites Spektrum an Arbeitsbereichen für den Nachwuchs, auf jeder Stufe der akademischen Qualifikation, das, wenn man es mit Augenmass durchdenkt und entwickelt, das Beste ergeben wird, was sich ein Land von seinen unzähligen Talenten erhoffen kann - da finden selbst Genies ihren Platz, die bei mir nun ganz untergegangen sind.
Wie wir alle wissen, trägt bereits jetzt der Mittelbau die Hauptlast von Forschung und Lehre an den Universitäten. Den Nutzen daraus ziehen andere. Überspitzt formuliert: Das Prestige eines Lehrstuhls beruht in grossem Masse auch auf der Bereitschaft derer, die sich dafür in berufliche Unsicherheit begeben. Die Verantwortung ganz allein auf die zu schieben, die das wagen, scheint mir der falsche Weg.
Eine Verstetigung der Aufgaben in Forschung und Lehre würde eine grundlegende Veränderung des derzeitigen universitären Hochschulsystems erfordern, was sicherlich nicht zum Nulltarif zu haben ist — man müsste es einfach einmal simulieren.
Die Verantwortung für eine derartige Veränderung läge dabei beim Bund oder den Kantonen, denn aus eigenen Kräften werden es die Universitäten nicht schaffen.
Ich bin mir aber sicher, dass eine Systemänderung eine lohnende Investition wäre, denn man würde zukünftig sehr viel stärker in Forschung und Lehre brillieren können, was nicht nur einen internationalen Wettbewerbsvorteil bringen, sondern sich früher oder später auch finanziell auszahlen würde.
Ein letztes Wort aus aktuellem Anlass.
Herr Hottiger hatte bereits auf den Zusammenhang von Kontingentierung und Nachwuchsförderung hingewiesen, sodass ich es hier nicht weiter ausweiten möchte. In Bezug auf den heutigen Veranstaltungstitel sollte man aber betonen, dass sich die Frage nach dem Verheizen von Talenten von selbst erledigt, wenn es zu keiner langfristigen, belastbaren Lösung für die internationale Forschungstätigkeit sich qualifizierender Kolleginnen und Kollegen gibt.
Auch wenn die ausgehandelte tempörare Lösung uns ein wenig Luft verschafft, stehen uns mit Ecopop und der Lancierung der Volksinitiative «Schweizer Recht geht fremdem Recht vor» noch einiges ins Haus. Und wenn ich hier schon im Kreis der Life Sciences bin, finden Sie nicht auch, dass es immer wieder erstaunlich ist, welchen Streich das Gehirn so manchen Personen spielen kann, darunter immer wieder Politiker. Da gibt es doch noch Forschungspotential.
Der Bund, so ist zu lesen, respektiert die Autonomie der Hochschulen, die sich in letzter Instanz an der wissenschaftlichen Qualität zu orientieren haben und nicht in zu starkem Masse an gesellschaftspolitischen Aussagen. Ich bin nicht dieser Meinung, denn Universität, Forschung und Lehrpläne sind stets an Gesellschaft gekoppelt und wirken auf sie zurück. Das ist die Scharnierfunktion der Universität.
Ich würde mich freuen, wenn es neben den teuren Anzeigen in der Tagespresse, die wahrscheinlich noch im Zuge der Ecopop Initiative aus der Wissenschaft kommen werden, es das einfache Engagement in der Lehre ist, um mit unseren Studierenden in eine Diskussion über wissenschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit ins Gespräch zu kommen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und ich freue mich auf Ihre Gegenrede und auf das Gespräch mit Ihnen.